Olympia: Sport und Politik untrennbar

Berlin. Frau Amtsberg, diese Woche beginnen die Olympischen Winterspiele in China. Dem Land werden massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, etwa mit Blick auf den Umgang mit den Uiguren. Wie sollte die Politik damit umgehen?

Ich hätte es begrüßt, wenn die Bundesregierung als Ganzes frühzeitig mit Blick auf die Menschenrechtslage vor Ort klargestellt hätte, dass sie nicht zu den Olympischen Spielen reisen wird. Die Lage in China steht dem Gründungsgedanken der Olympischen Spiele komplett entgegen. Das Problem fängt aber schon viel früher an.

Nämlich wo?

Es beginnt bei der Vergabe der Spiele. Schon da muss geprüft werden, ob Menschenrechte eingehalten werden. Ist das in einem Land nicht der Fall, kann es nicht als Austragungsort in Erwägung gezogen werden. Ist die Entscheidung erst mal gefallen, sind die Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt. Die Pflicht zur moralischen Bewertung wird den Athlet*innen aufgeladen. Davor muss man sie schützen. Der Druck durch den sportlichen Wettbewerb und die Pandemie ist ohnehin schon hoch genug.

Sie finden nicht, dass Sport und Politik getrennt werden sollten?

Sport und Politik lassen sich in Bezug auf solche Großveranstaltungen auf keinen Fall trennen. Das sehen wir in Bezug auf China mehr als deutlich. Außerdem ist der Ursprungsgedanke der Völkerverständigung durch Sport per se schon ein politischer. Es gibt noch einen weiteren Aspekt, gerade mit Blick auf China: Sportler*innen müssen vor Ort geschützt werden.

Wovor?

Sportler*innen müssen ihre Meinung offen sagen können, ohne mit Bestrafung zu rechnen. Das IOC hat sich dazu bisher nicht klar genug verhalten. Genauso wie es schon nicht darauf geachtet hat, dass die Menschenrechtsverpflichtungen aus der Vergabeentscheidung eingehalten werden. Ich erwarte, dass das IOC gegenüber China alles unternimmt, dass die AthletI*innen vor Ort in ihren Rechten geschützt sind.

Die Bundesregierung verweist bisher darauf, dass den diplomatischen Boykott die EU gemeinsam beschließen solle. Enttäuscht?

Insbesondere in Bezug auf China ist es essentiell, dass Europa mit einer Stimme spricht. Daher sollten wir diesbezüglich nichts unversucht lassen, auch wenn es aufgrund verschiedener Interessenlagen kompliziert ist.

Was halten Sie von einem sportlichen Boykott?

Das würde nur international tatsächlich Sinn machen, nicht als Alleingang eines einzelnen Landes. Ich halte grundsätzlich nichts davon, dass das, was Politik oft nicht imstande ist zu tun, auf die Athlet*innen abzuwälzen. Wir müssen zudem bedenken, dass zahlreiche Athlet*innen selbst aus repressiven Regimen kommen und ein sportlicher Boykott ernsthaftere Konsequenzen hätte als für unsere deutschen Athlet*innen.

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Nach US-Olympia-Boykott: Weitere Staaten bringen Absage ins Spiel

Die USA hatten am Montag angekündigt, die Winterspiele 2022 in China zu boykottieren. Nun denken offenbar weitere Länder darüber nach.  © Reuters

Es gibt meines Erachtens drei Akteure, die etwas ausrichten können: Verbände, Politik und auch die Sponsoren. Sie haben die Macht, zu einem Umdenken zu drängen. Großveranstaltungen kosten Geld. Die Sponsoren tragen also auch eine Verantwortung.

Bei den Grünen gibt es oft Kritik an Sportgroßveranstaltungen. Halten Sie Olympia für nötig?

Ich habe 2015 sehr für den Olympiastandort Kiel gekämpft. Natürlich gibt es bei Großveranstaltungen Bedenken in Sachen Nachhaltigkeit. Aber hinter Olympia steht eine großartige Idee. Die Idee eines friedlichen Wettstreits. Wir sollten die Spiele daher nicht Staaten wie China oder Kasachstan überlassen. Stattdessen sollten wir uns nachhaltige Konzepte überlegen.

Das nächste sportliche Großereignis ist die Fußball-WM in Katar im Sommer. Wie sehen Sie da die Menschenrechtslage?

Zufriedenstellend ist die Lage dort sicher nicht, gerade was die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angeht. Die Fifa steht da ebenfalls voll in der Verantwortung.

Wo muss die neue Regierung einen neuen Weg einschlagen in der Menschenrechtspolitik?

Wir müssen das Thema Menschenrechte in der Regierung mehr als Querschnittsaufgabe wahrnehmen, die alle Ressorts angeht – zum Beispiel auch das Wirtschafts- und das Innenministerium. Innenpolitik darf Außenpolitik nicht mehr behindern. Es war fatal, dass vergangenen Sommer aus Deutschland noch nach Afghanistan abgeschoben wurde, obwohl dort die Taliban schon auf dem Vormarsch waren. Hier muss die Bundesregierung mit einer Stimme sprechen.

Wie soll es weitergehen mit Afghanistan? Die Versorgungslage ist prekär, viele Afghanen warten darauf, das Land verlassen zu können.

Der vergangene Weg, eine gesteuerte Aufnahme innenpolitisch abzuwehren, hat sich nicht bewährt. Es muss so schnell wie möglich ein Aufnahmeprogramm für Afghanistan auf den Weg gebracht werden. Wir müssen den Familiennachzug erleichtern und das Resettlement. Damit helfen wir gezielt Menschen. Deutschland hat immer nur reagiert, wenn die Notlage nicht mehr wegzudiskutieren war, seinen humanitären Beitrag aber nicht wirklich vorausschauend gestaltet. Das muss sich ändern.

Die Grünen haben auch eine feministische Außenpolitik angekündigt. Was bedeutet das?

Wir wollen die Repräsentanz von Frauen in anderen Ländern fördern. Wir müssen bei der humanitären Hilfe sicherstellen, dass Frauen vor Ort im Einsatz sind. Damit kann man besser absichern, dass die Hilfe auch Frauen erreicht. Und Frauen müssen am Verhandlungstisch sitzen. Sonst wird das Geschlecht zum Ausschlusskriterium.

Belarus hat Flüchtlinge über die Grenze nach Polen geschleust. Jetzt befestigt Polen seine Grenze. Ist das ein Problem?

Es ist ein Dilemma. Ich verstehe das Bedrohungsgefühl in Polen. Aber die europäischen Grenzen müssen für Schutzsuchende durchlässig sein. Das europäische Recht muss auch von Polen eingehalten werden. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland Wege findet, Menschen aus dem Grenzgebiet aufzunehmen, die keinen anderen Ausweg mehr haben.

Die Ukraine will im Konflikt mit Russland von Deutschland mit Waffen unterstützt werden. Was halten Sie davon?

Mit Waffenlieferungen würde die Bundesregierung eine 180-Grad-Wendung machen. Es ist besser, weiter das Gespräch zu suchen und sich um Deeskalation zu bemühen.