Ukraine: Merz für Lieferung von Waffen statt „bisschen Kuchen“

Versagt Deutschland im Kampf gegen Corona? Droht Krieg in Europa? Rettet Friedrich Merz die CDU? Zur Premierensendung des neuen WELT Talk am Montagabend hatte sich WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard drei wichtige Themen auf die Agenda genommen – und drei prominente Gäste zur Diskussion eingeladen: Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Friedrich Merz (CDU) und den Virologe Hendrik Streek.

Die TV-Premiere war zugleich Merz‘ erster Talkshowauftritt als neuer CDU-Vorsitzender. Ein Auftritt mit zwei Aufschlägen: Der Oppositionsführer skizzierte in der Diskussion um die Impfpflicht die Pläne der Union und sprach sich deutlich für die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine aus. Göring-Eckardt hingegen ging bei Waffenlieferungen nicht mit, hält aber eine allgemeine Impfpflicht für umsetzbar – eine meinungsfreudige Diskussion.

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Er könne sich eine gestaffelte Impfpflicht vorstellen – allerdings eine, die nur für eine mögliche nächste Welle gelten soll, sagte Merz. Eine solche Regel müsse dann bei Bedarf mit einem weiteren Bundestagsbeschluss scharf gestellt werden. So könne auch entschieden werden, dass im Herbst nur die über 50-Jährigen, die über 60-Jährigen oder die über 70-Jährigen eine Pflicht hätten, sich impfen zu lassen. „Ich glaube, das ist der beste Weg, auch aus diesem Dilemma herauszukommen“, sagte Merz weiter. Einen Entwurf will Merz schon in der nächsten Sitzungswoche vorlegen.

Virologe Hendrik Streeck, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, WELT-Chefredakteur Jan-Philipp Burgard und CDU-Vorsitzender Friedrich Merz im neuen WELT Talk im Axel Springer Neubau in Berlin

Virologe Hendrik Streeck, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, WELT-Chefredakteur Jan-Philipp Burgard und CDU-Vorsitzender Friedrich Merz im neuen WELT Talk

„Wir diskutieren über diese Frage sehr intensiv“, sagte Merz. Ein Problem sei die Umsetzung: Deutschland habe nicht die datenschutzrechtlichen Möglichkeiten geschaffen, wie in anderen Ländern ein Impfregister einzuführen oder auf die Daten der Einwohnermeldeämter zurückzugreifen. „Wenn wir in die Richtung einer allgemeinen Impfpflicht gehen würden, müssten wir wahrscheinlich auch diese Voraussetzungen schaffen.“

Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckardt sprach sich für eine allgemeine Impfpflicht aus, um die Impfquote vor der nächsten Welle im Herbst zu erhöhen. „Die seelische Lage der Nation ist in einem Zustand, wo man solche Maßnahmen auch ergreifen können muss“, sagte Göring-Eckardt. Durchgesetzt werden sollte die Vorschrift mit stichprobenartigen Kontrollen, wie etwa im Straßenverkehr, und mit einkommensabhängigen Bußgeldern.

Streeck schlägt Antikörper-Studie in Deutschland vor

Virologe Hendrik Streeck ordnete die Vorschläge der Bundestagsabgeordneten ein. Eine Impfpflicht, deren Zweck die Erhöhung der Impfquote ist, sieht er mit Skepsis. Weder sei bekannt, welche Variante im Herbst kommen werde, noch wie gut die Impfstoffe wirken werden. „Wir impfen gegen die Wuhan-Variante, die schon erheblich weiterentwickelt ist“, sagte Streeck. „Wir erreichen keine Herdenimmunität damit.“ Dem stimmte dann auch Göring-Eckardt zu: Ziel sei es, schwere Verläufe und damit ein Überlaufen der Intensivstationen sowie Long-Covid-Fälle zu verhindern, entgegnete sie.

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Streeck schlug vor, die Zeit bis zum Herbst zu nutzen, um mit einer groß angelegten Studie zu überprüfen, wie gut der Antikörperschutz der Deutschen überhaupt sei. Genesene könnten dabei mit Geimpften gleichgestellt werden, sagte Streeck mit Blick auf die Diskussion um eine Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate. „Wir wissen von allen Studien, dass die Genesenen einen genauso guten Status haben wie die Geimpften – mindestens.“

Merz spricht sich für Waffenlieferungen aus – deutlicher als bisher

Beim zweiten Thema der Sendung, der Ukraine, wagte sich Merz erneut mit einem Vorstoß aus der Deckung. Er sprach sich für die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine aus – deutlicher als bisher. „Man muss die Ukraine in die Lage versetzen, auch ein Abschreckungspotential zu haben“, sagte Merz. „Wenn sie das aus eigener Kraft nicht haben, muss man das Risiko für Russland erhöhen, dort einzumarschieren.“

Man könne nicht einfach nur Helme schicken, kritisierte Merz – und „vielleicht backen wir noch ein bisschen Kuchen und stellen da ein altes Lazarett hin.“ An dieser Stelle kam der neue CDU-Vorsitzende in Fahrt. Deutsche Waffenlieferungen sollten immer innerhalb der EU und Nato abgestimmt sein und nicht im Alleingang erfolgen – auch vor dem Hintergrund der Geschichte. „Aber ist dieser Hintergrund Grund genug zu sagen ‚Wir verweigern den baltischen Staaten, wir verweigern den Franzosen, wir verweigern den Briten Waffenlieferungen‘? Und wir stellen uns quer uns sagen ‚Nein‘ in der Nato zu 50 Jahre alten Flugabwehrkanone, die es da aus DDR-Beständen noch in Estland gibt. Das kann doch wohl nicht sein.“

Göring-Eckardt will von Nord Stream 2 unabhängig werden

Die anfänglichen Vorbehalte gegen Waffenlieferungen habe er noch immer, aber man könne Putin nicht durchgehen lassen, dass er „die Landkarte Europas mit Waffengewalt verändert – gegen alle Verträge, die wir mit ihm gemacht haben“, sagte Merz. Deshalb stelle er sich an die Seite von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der im vergangenen Jahr als damaliger Grünen-Vorsitzender die Ostukraine besuchte und sich für die Lieferung von Defensivwaffen aussprach.

Habeck allerdings ist bei den Grünen in einer überwältigten Minderheit. Göring-Eckardt wies die ukrainischen Forderungen nach Waffenlieferungen erneut zurück. Sie hält Sanktionsdrohungen für sinnvoller – auch gegen die Gaspipeline Nord Stream 2. „Die Abhängigkeit von fossiler Energie heißt auch immer die Abhängigkeit von Partnern wie Russland“, sagte Göring-Eckardt. „Ich will, dass wir davon unabhängig werden. Das ist geopolitisch wichtig und das ist für die Energiewende zentral.“

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Zum letzten Thema, der Neuausrichtung der CDU, hatte Merz vor der Sendung die Fakten sprechen lassen: 95,3 Prozent wählten ihn offiziell per Briefwahl zum neuen Parteivorsitzenden – und damit geringfügig mehr als auf dem digitalen Parteitag. Jetzt darf Merz – nach Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet – als Nachfolger in das Büro von Angela Merkel einziehen. „Ich weiß nicht, ob es ihr Schreibtisch ist, aber es ist ihr Büro“, erzählte Merz. „Es ist ein großes, ein sehr schönes, ein helles Büro. Es ist das Büro in der Zentrale der Partei. Das erfüllt mich mit einer gewissen Ehrfurcht.“